Zoonosen und Resistenzen: Ursachen werden noch immer politisch vernachlässigt

Antibiotikaresistenzen verursachen bereits mehrere Millionen Todesfälle jährlich und sind zu einem zunehmend drängenden globalen Problem geworden. Trotzdem wird diesem Thema und besonders dem Zusammenhang mit der industriellen Tierhaltung zu wenig Beachtung geschenkt. Deshalb haben wir den folgenden Artikel übersetzt, der vor allem die fehlende Berücksichtigung der Tierhaltung in sogenannten „One-Health“-Programmen darstellt. Dieser Beitrag wurde im August 2024 auf Englisch von Molly Mulvaney für Farm Forward verfasst. Wir bedanken uns für die Erlaubnis ihn hier auf Deutsch veröffentlichen zu dürfen.
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Weil in der industriellen Tierhaltung Antibiotika so breitflächig eingesetzt werden, sind antimikrobielle Resistenzen (AMR) zu einem drängenden globalen Gesundheitsproblem geworden.* AMR gefährdet nicht nur die Wirksamkeit moderner Medikamente, sondern schafft Bedingungen, in denen sich lebensbedrohliche Krankheiten schnell ausbreiten können. Die Art, wie die industrielle Tierhaltung mit der AMR-Krise zusammenhängt, ist ein Beispiel dafür, dass die menschliche Gesundheit untrennbar mit der Gesundheit nicht-menschlicher Tiere und der Gesundheit des Ökosystems verbunden ist. Ein weiteres Beispiel ist die Verknüpfung der Abholzung von Wäldern mit dem Risiko neuer Zoonosen. Die wissenschaftliche Gemeinschaft und das öffentliche Gesundheitswesen haben diese Zusammenhänge längst erkannt und bezeichnen sie inzwischen als „One Health“ [Anmerkung Faba Konzepte: auch im Deutschen²]. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert „One Health“ als „einen ganzheitlichen, verbindenden Ansatz, der darauf abzielt, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen nachhaltig in Einklang zu bringen und zu optimieren. Im letzten Jahrzehnt hat das One-Health-Konzept an Bedeutung gewonnen und wird zunehmend von nationalen Regierungen und internationalen Gremien übernommen.²

Antibiotikaresistenz, genauer die Resistenz gegen antimikrobielle Wirkstoffe (AMR), bedroht zunehmend die Gesundheit von Menschen und Tieren. Die Lösung des Problems erfordert erhebliche Reformen der Agrarpolitik und Veränderungen der Praktiken in der industriellen Tierhaltung. Doch die größten internationalen „One Health“-Programme versäumen es überwiegend, die industrielle Tierhaltung als eine zentrale Bedrohung für die „One Health“-Mission einzubeziehen. Während einige Regierungen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen das Risiko von AMR und Zoonosen in Angriff nehmen, weichen Staaten mit hohem Einkommen weiterhin den Ursachen aus und lenken davon ab. Um die AMR-Krise ernsthaft anzugehen, müssen die verantwortlichen Nationen die Agrarreform in ihren Aktionsrahmen für „One Health“ und ihre politischen Maßnahmen integrieren.

Mittlerweile haben zahlreiche Staaten und internationale Organisationen Versionen von „One Health“-Programmen veröffentlicht, darunter das Zentrum für Seuchenkontrolle und -prävention in den Vereinigten Staaten, Indien, die Niederlande, China und die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO). Die Schwerpunkte von „One Health“ variieren zwischen den Ländern und internationalen Organisationen, aber die meisten befassen sich mit AMR, zoonotischen Krankheiten, Lebensmittelsicherheit, öffentlicher Gesundheit, Umweltzerstörung und vektorübertragenen Infektionskrankheiten³. Die wachsende Zahl von „One Health“-Programmen nutzt den Ansatz als Leitfaden für ihre politischen Maßnahmen, aber kaum eine befasst sich in ausreichendem Maße mit den grundlegenden Problemen der Antibiotikaresistenz, insbesondere der industriellen Tierhaltung. Die „One Health“-Programme müssen sowohl eine grundlegende Reform der industriellen Tierhaltung als auch Präventivmaßnahmen in den Industriestaaten umfassen. Ohne diese beiden Aspekte sind „One Health“-Programme nicht geeignet, eine bessere Zukunft für Menschen, Tiere und den Planeten zu gewährleisten.

Resistenzen sind ein Problem der industriellen Tierhaltung

2019 trugen AMR indirekt zu fast 5 Millionen Todesfällen bei und verursachten direkt mehr als eine Million. Die Tierhaltung trägt in hohem Maße zu AMR bei, da die Betriebe in großem Umfang Antibiotika einsetzen, um Krankheiten zu verhindern und das Wachstum der Tiere zu fördern [Anmerkung Faba Konzepte: Diese Praxis ist in der EU verboten]. Die WHO gab an, dass in einigen Ländern „etwa 80 % des Gesamtverbrauchs an medizinisch bedeutsamen Antibiotika auf den Tierhaltungssektor“ entfallen.** Die Vereinigten Staaten gehören zu den Ländern, die am meisten zum übermäßigen Antibiotikaverbrauch beitragen. Der Verbrauch pro Kilogramm Tierbestand war dort im Jahr 2020 fast doppelt so hoch wie der in ganz Europa. Trotz Bemühungen der USA und der Vereinten Nationen haben es die „One-Health“-Aktionspläne jedoch versäumt, die Prävention von AMR in der Tierhaltung ernst zu nehmen.

Was tun Regierungen und internationale Einrichtungen, um Resistenzen einzudämmen? Nicht genug.

Eines der größten „One Health“-Programme ist das „One Health Quadripartite“ (OHQ), das sich aus der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dem UN-Umweltprogramm, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH, früher OIE) zusammensetzt. Dieses Konsortium internationaler Organisationen hat starke Absichten bei der Bekämpfung der AMR kommuniziert, geht aber am Kernpunkt vorbei. Das OHQ hat einen „Gemeinsamen One Health Aktionsplan“ veröffentlicht, der seine Vorhaben für die Jahre 2022-2026 darlegt. Obwohl dieser Plan Präventivmaßnahmen in den Vordergrund rückt, werden die Probleme, die sich aus der Tierhaltung ergeben, kaum betrachtet. In dem Dokument wird eingeräumt, dass „Tierhaltungs- und Fischerzeugungssysteme nicht speziell behandelt werden“, trotz ihrer Bedeutung sowohl für die Prävention als auch für die Bewältigung von AMR.

Das OHQ rühmt sich in seiner langen AMR-Forschungsagenda damit, dass sein Schwerpunkt „an der Schnittstelle zwischen den Sektoren liegt, die für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMIC) am wichtigsten sind“, obwohl diese Länder am wenigsten zur AMR-Krise beitragen. Die Haltung des OHQ ähnelt den Äußerungen der USA, dass andere Länder sich gegen den Klimawandel engagieren müssten, während sie selbst nicht genug tun, um die Emissionen zu reduzieren. AMR in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen einzudämmen und zu bekämpfen, ist wichtig. Dabei werden aber die Ursachen von AMR, die auf große Fleischkonzerne in Ländern wie den USA zurückzuführen sind, völlig übergangen.

Die EU-Kommission verfolgt ähnliche „One Health“-Ziele wie OHQ, gibt aber der Bedeutung der Tierhaltung etwas mehr Aufmerksamkeit bei der Lösung von AMR. Die von der Kommission vorgeschlagenen Reformen in der Tierhaltung sind vage oder nicht umsetzbar, was zu minimalen oder gar keinen Änderungen in der landwirtschaftlichen Praxis führt. In den EU-Leitlinien zur Verwendung antimikrobieller Mittel bei Tieren heißt es: „Bei den Schulungen und in den Leitfäden für Landwirte [Landwirt*innen] sollten auch Informationen über vorbeugende Maßnahmen zur Förderung der Tiergesundheit gegeben werden, insbesondere zur Umsetzung von Biosicherheitsmaßnahmen, guten landwirtschaftlichen Praktiken und der Herdengesundheitsplanung“.⁴ Schulungen und Leitfäden sind wertvoll, aber der Kommission fehlt es an spezifischen Standards, Vorschriften und Regeln, um wirklich etwas zu verändern. Die Kommission beschreibt einige spezifische Methoden zum Umgang mit AMR, darunter die Bereitstellung von hochwertigem Futter und Wasser, die Verbesserung der Unterbringung und die Verwendung sicherer Alternativen zu antimikrobiellen Mitteln. Diese Änderungen können zwar ein erster Schritt zur Bewältigung der AMR-Krise darstellen, wurden aber bisher noch nicht in Form von Gesetzen oder anderen regulatorischen Maßnahmen umgesetzt. 

In den Vereinigten Staaten ist das „One Health Federal Interagency Coordination Committee“ (OH-FICC), das von den Centers for Disease Control and Prevention (Gesundheitsbehörde) geleitet wird, die führende Organisation für „One Health“.

OH-FICC arbeitet mit zahlreichen staatlichen Behörden zusammen, unter anderem mit dem US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium und der Gesundheitsbehörde. Trotz des umfangreichen Netzwerks des OH-FICC stellt die Initiative keine nennenswerten Forderungen zu Reformen der Tierhaltung oder Präventionsmaßnahmen. Das OH-FICC übernimmt keine Verantwortung für den massiven Einsatz von Antibiotika bei Tieren im Lebensmittelsektor. Die Organisation verfügt über ein nationales System zur Überwachung von antimikromiellen Resistenzen, räumt aber nicht öffentlich ein, dass der größte Teil der in den USA verwendeten Antibiotika Tieren für die Lebensmittelerzeugung verabreicht wird. In den letzten Jahren hat das OH-FICC einen Großteil seiner Ressourcen für Projekte verwendet, welche die Tierhaltung in Ländern mit niedrigem Einkommen evaluieren und alternative Praktiken entwickeln, die Krankheiten und AMR reduzieren. Die Tierhaltung ist zweifellos reformbedürftig. Es ist aber heuchlerisch, wenn die amerikanische Gesundheitsbehörde die Länder mit niedrigem Einkommen auffordert, kleine landwirtschaftliche Betriebe zu verändern, während die Vereinigten Staaten selbst eine Form der Tierhaltung betreiben, die so unethisch ist, von so vielen Krankheiten geplagt wird und in so hohem Maße AMR verursacht wie kaum anderswo auf der Welt.

Wenngleich die bisherigen Beispiele Versäumnisse in „One Health“-Konzepten belegen, zeigt Ruandas umfangreicher „One Health“-Strategieplan umfassende und vielversprechende Ansätze zur Eindämmung von AMR. Ruanda hat einen Bericht über seine „One Health“-Vorhaben bis zum Jahr 2026 sowie einen umfassenden Aktionsplan zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen entwickelt. Dieser AMR-Plan beleuchtet sowohl die Tierhaltung als auch auf die Prävention und umfasst Ziele wie verstärkte Aufklärung, Überwachung, Hygiene- und Gesundheitsmaßnahmen. Zu den vielleicht wichtigsten Maßnahmen gehören die Schulung von landwirtschaftlichen Mitarbeiter*innen, Tierärzt*innen und Agraringenieur*innen sowie die Umsetzung von Sicherheitsrichtlinien für landwirtschaftliche Betriebe, Schlachthöfe und Aquakulturen. Darüber hinaus will die Regierung Ruandas die breite bzw. allgemeine Verwendung von Antibiotika als Wachstumsförderer oder als Futtermittelzusatz einschränken „ und die Regulierung und Aufsicht über die Lieferkette und die Verwendung von Antibiotika in der Landwirtschaft und der Veterinärmedizin verstärken“. Ruandas Plan zur Vorbeugung und Bekämpfung von AMR ist im Vergleich zu anderen Ländern sehr ausgereift. Obwohl die USA beispielsweise 72-mal so viele Rinder haben wie Ruanda, sieht die amerikanische Gesundheitsbehörde nur minimale Maßnahmen zur AMR-Prävention vor. Die Arbeit Ruandas ist ein guter Anfang für die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen, der von anderen Ländern, die mehr Verantwortung tragen, übernommen und ausgebaut werden muss.

Fazit

Der Klimawandel und die Intensivierung der Tierhaltung werden AMR, Zoonosen und neue Gesundheitsrisiken weiter verschärfen. Einflussreiche Staaten und internationale Organisationen müssen pflichtbewusster für die Gesundheit der Bevölkerung einstehen und umfassende, verantwortungsvolle „One Health“-Programme entwickeln.

Anmerkung Faba Konzepte: Eine zentrale Maßnahme, die in die Lösung des Problems dringend einbezogen werden muss, ist die Senkung der Tierzahlen. Aufgrund der gravierenden Rolle der (Intensiv-)Tierhaltung bei der Entstehung von AMR, sollte der Fokus nicht nur darauf liegen die Praktiken in der Tierhaltung zu regulieren, sondern vorrangig darauf die Tierzahlen in der Landwirtschaft zu senken. Maßnahmen hierzu sollten als wichtiger Schritt in der Bekämpfung von AMR unbedingt Teil aller „One Health“-Programme sein, besonders in Ländern mit hohen Tierzahlen.

*Antibiotika sind zusammen mit Antimykotika, Virostatika und Antiseptika eine Untergruppe einer größeren Kategorie, die als antimikrobielle Mittel bezeichnet wird. [Anmerkung Faba Konzepte: Im Gegensatz zum Begriff Antibiotikaresistenz, beschränkt AMR sich nicht auf Bakterien, sondern beschreibt Resistenzen gegenüber Wirkstoffen sowohl bei Bakterien als auch bei Pilzen, Parasiten und Viren.¹] In großen landwirtschaftlichen Betrieben sind Antibiotika die am häufigsten verwendeten antimikrobiellen Mittel. Durch den prophylaktischen Einsatz von Antibiotika in Kraftfutterbetrieben passen sich die behandelten Infektionserreger an und mutieren, so dass sie gegen die Behandlung resistent werden. Durch den massenhaften Einsatz von Antibiotika besteht für den Menschen die Gefahr, sich mit resistenten, gefährlichen Krankheiten anzustecken. Mit der Intensivierung der Tierhaltung hat sich das Risiko von AMR für die Bevölkerung im Laufe der Zeit verschärft.

**Der übermäßige Einsatz von Antibiotika in der industriellen Tierhaltung dient vor allem dem schnellen Wachstum der Tiere und damit der Gewinnsteigerung der Betriebe. Tiere sollten nur dann Antibiotika erhalten, wenn sie krank sind, doch viele Tiere werden unabhängig von ihrem Gesundheitszustand mit Medikamenten behandelt. Da die Nachfrage nach tierischen Produkten weltweit steigt, nimmt auch der Einsatz von antimikrobiellen Mitteln zu.

Deutsche Quellen und Hintergundinformationen

Englischsprachige Quellen im Originaltext

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