Odile Amman ist Associate Professor an der Fakultät für Recht, Kriminalwissenschaften und öffentliche Verwaltung der Universität Lausanne. Im Rahmen ihrer Habilitation betrachtete sie das Thema Lobbyismus aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive und befasste sich im Rahmen ihrer neueren Forschung mit den Praktiken und Besonderheiten der Fleischindustrie.

Lobbyismus als ambivalente Praxis
Ammann beschreibt Lobbyismus als eine Praxis, die die demokratische Gesetzgebung sowohl stärken als auch schwächen kann. Prinzipiell seien Politiker*innen darauf angewiesen, nötige Informationen für Entscheidungsprozesse von verschiedenen gesellschaftlichen Akteur*innen zu beziehen – Lobbyismus ist also nicht zwingend etwas Schlechtes. Gleichzeitig bestünde die Gefahr, dass demokratische Prozesse durch einen einseitigen Informationsfluss untergraben werden.
Diese Spannung sei umso größer, je einflussreicher der entsprechende Sektor und je größer dementsprechend der Hebel der Lobby ist. Als problematisch unterstreicht Ammann außerdem das Lobbying solcher Sektoren, die erhebliche negative Externalitäten erzeugen: also soziale oder ökologische Kosten, die gesellschaftlich getragen werden müssen.
Die Fleischindustrie – gut vernetzt und einflussreich
Den politischen Einfluss der Fleischindustrie beschreibt Ammann als besonders wirksam, da sie eng mit Interessengruppen der Landwirtschaft vernetzt ist. Landwirt*innen und deren Interessenverbände wiederum gelten für die Politik als besonders wichtige Gruppe, die in vielen Ländern gesamtgesellschaftlich große Unterstützung erfährt. Der direkte Einfluss auf politische Entscheidungsträger*innen ist hier stark verankert.
Aber auch über Medien, Werbung und Aussagen von wissenschaftlichen Expert*innen versuche die Fleischindustrie, gesellschaftlichen Rückhalt für die eigenen Forderungen zu schaffen und damit indirekt auf die Gesetzgebung einzuwirken.
Einen guten Überblick über die Aktivitäten der Fleischlobby und deren Regulierung zu bekommen, sei allerdings schwierig. Zum einen, weil die Fleischindustrie in unterschiedliche Rechtsordnungen auf nationaler und internationaler Ebene eingebunden ist – das macht eine klare Handhabung schwierig. Außerdem verfolgt sie sehr verschiedene Strategien, die nicht alle leicht zu erfassen und zu regulieren seien.
Leugnung, Diskreditierung und Politikberatung – Strategien der Fleischlobby
Amman zeigte auf: Die konkreten Lobbypraktiken der Fleischindustrie sind vielfältig und zum Teil subtil. Als übergreifendes Konzept stellte sie den von Jason Hannan im Jahr 2020 geprägten Begriff des „Meatsplaining“ vor. Er beschreibt die Leugnungsrhetorik, mit der die Tierindustrie die negativen Externalitäten von Fleischproduktion und -konsum abstreitet. Dies äußert sich auf verschiedene Weisen, wobei die unterschiedlichen Strategien oft miteinander verflochten sind. Häufige Praktiken sind zum Beispiel:
Gesponserte Inhalte: Artikel in Fachzeitschriften und Medien, die sich gestalterisch nahtlos in das Medium einfügen und scheinbar neutral informieren, aber in Wirklichkeit gezielte Interessen transportieren. Häufig gibt es beim Artikel lediglich einen kleinen, unauffälligen Zusatz, dass der Inhalt gesponsert ist.
Hier ein Beispiel aus Neue Zürcher Zeitung.Das „Säen von Zweifeln“: Dies geschieht durch die Diskreditierung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Fleischindustrie, indem der wissenschaftliche Konsens infrage gestellt wird. Teilweise werden auch eigene, gegenteilige Studien mithilfe finanzieller Mittel der Industrie erstellt – eine Taktik, die auch aus anderen Sektoren bekannt ist.
Das Verwischen der Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Bereich: Dies passiert beispielsweise dann, wenn Personen mit wirtschaftlichen Interessen Positionen in Beratungsgremien für die Politik besetzen. Das erzeugt Interessenskonflikte und Schein-Neutralität. Ähnlich funktionieren auch informelle Gespräche von Lobbyist*innen mit Politiker*innen. Hier sind die Rollen und Aufträge der Personen nicht mehr klar abgesteckt und in einem vermeintlich privaten Rahmen werden politische Maßnahmen entwickelt.
Diese Techniken trügen dazu bei, Debatten und politisches Handeln zu beeinflussen – oft ohne dass dies für die Öffentlichkeit sichtbar ist. Die genannten Praktiken sind zwar auch in anderen Lobby-Bereichen gängig, werden durch die Fleischindustrie allerdings sehr effektiv umgesetzt.
Konsequente Regulierung? Fehlanzeige!
Im Vortrag wurde immer wieder deutlich: Es fehlt an klaren rechtlichen Rahmenbedingungen zur Regulierung von Lobbyismus. Die meisten Rechtsordnungen beinhalten laut Ammann nur wenige Vorschriften – Lobbyismus in der Form, wie die Fleischlobby ihn aktuell praktiziert, ist also erst einmal legal und nur wenig reguliert.
Begründet sieht sie dies in zwei Faktoren: Zum einen profitieren staatliche Institutionen oft auf finanzielle und ideelle Weise von Lobbyismus und zögern daher bei der Regulierung. Zum anderen bestehen Unklarheiten zu den normativen Maßstäben, die einer solchen Regulierung zugrunde liegen müssten.
Mehr als nur Transparenz – die Rolle der Institutionen
Zum Abschluss ihres Vortrags betonte Ammann, dass die Regulierung von Lobbyismus ganzheitlicher gelöst werden muss. In den meisten Rechtsordnungen liege der Fokus auf Transparenz-Aspekten, also dem Offenlegen von Tätigkeiten, Netzwerken und möglichen Interessenkonflikten. Das sei notwendig und müsse zum Teil noch konsequenter umgesetzt werden, reiche aber nicht aus. Vielmehr müssten auch gleiche Voraussetzung für alle Interessensgruppen geschaffen werden, um sich in politische Entscheidungsprozesse einbringen zu können. Um diese Gleichheit der Akteur*innen zu gewährleisten, müsse es allen Gruppen ermöglicht werden, niedrigschwellig Kontakt zu Entscheidungsträger*innen und politischen Netzwerken aufzunehmen. Für direkte demokratische Beteiligung, wie in Form von Volksabstimmungen, brauche es außerdem mehr finanzielle Ressourcen, um den Druck auf die Politik zu erhöhen.
Letztlich sei auch die Integrität von Institutionen und Entscheidungsträger*innen selbst gefragt, die mit Lobbyismus konfrontiert sind. Lobbygruppen seien immer auf Institutionen angewiesen, die mit ihnen interagieren. Nur wenn diese unabhängig und resistent gegenüber wirtschaftlichem und sonstigem Druck blieben, könne demokratische Legitimität gewährleistet werden. Hierfür brauche es beispielsweise gesicherte unabhängige Finanzierungsmodelle für wissenschaftliche Institutionen sowie ein starkes normatives Selbstverständnis zum eigenen Auftrag in Medienhäusern und Parlamenten.
Fazit
Der Vortrag von Prof. Odile Ammann war ein eindringliches Plädoyer für das Nachjustieren der Regulierungsmaßnahmen zur Lobbyarbeit. Der Einfluss der Fleischlobby reicht weit – von der öffentlichen Debatte über die Wissenschaft bis hin zur Gesetzgebung.
Die zentrale Botschaft: Demokratie braucht nicht nur Transparenz, sondern auch robuste Institutionen, die dem Druck von Partikularinteressen standhalten.
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