Die Landwirtschaft steht vor enormen Herausforderungen: Die Treibhausgasemissionen müssen sinken. Die gegenwärtigen Produktionsmethoden führen zu massiven Umweltschäden und himmelschreiendem Tierleid. Viele, gerade auch migrantische Arbeiter:innen arbeiten unter miesen Bedingungen auf den Äckern und in den Fleischfabriken, während die großen Fleisch-, Molkerei- und Lebensmitteleinzelhandels-Unternehmen Milliardenprofite einstreichen. Und das Sterben bäuerlicher Höfe ist ungebrochen.
Die aktuellen Proteste der Landwirt:innen entzündeten sich an der Streichung des Agrardiesels im Rahmen des Abbaus klimaschädlicher Subventionen. Aber für viele war das nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, da es seit Jahren eine große Unzufriedenheit mit der Agrarpolitik gibt. Gefordert werden nun grundlegende Änderungen, die unter anderem für die Betriebe Planungssicherheit und verlässliche Einkommen gewährleisten sollen.
Wie das genau aussehen soll, dazu gehen die Meinungen auseinander. Eine Maßnahme, die aktuell in der öffentlichen Debatte intensiv diskutiert wird, ist die Umsetzung der Empfehlungen der sogenannten Borchert-Kommission aus dem Jahr 2020: ein umfassender Umbau der Tierhaltung hin zu mehr „Tierwohl“. Finanziert werden soll das mit einer Tierwohl-Abgabe auf Tierprodukte. Die Tierhalter:innen sollen so in die Lage versetzt werden, Tiere besser zu halten, und gleichzeitig eine langfristige wirtschaftliche Perspektive in der Tierhaltung bekommen.
Unter den Landwirtschaftsverbänden stößt das auf gemischte Resonanz. Der Bauernverband, die mächtigste landwirtschaftliche Interessenorganisation, hatte die Empfehlungen damals mit erarbeitet und wiederholt ihre Umsetzung eingefordert. Die Interessenorganisation Landwirtschaft verbindet Deutschland, die ebenfalls zu den Bäuer:innenprotesten aufgerufen hatte, weist den Vorschlag dagegen zurück – ihr Sprecher Anthony Lee macht aber sonst eher mit klimaskeptischen Äußerungen und Hetze gegen Geflüchtete von sich reden.
Bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und der jungen AbL, zwei Interessenvertretungen kleinbäuerlicher Agrarbetriebe, nimmt die Umsetzung der Borchert-Empfehlungen wiederum einen zentralen Stellenwert in den aktuellen Forderungen ein.
Dasselbe gilt für das Bündnis „Wir haben es satt„, das für den heutigen Samstag zur alljährlichen Großdemo aufruft. Zum Trägerkreis gehören zahlreiche wichtige Organisationen aus der Umwelt- und Klimabewegung. In einer Stellungnahme zu den Protesten fordert dieses Bündnis, „Bäuer:innen mit einer Tierwohlabgabe die Finanzmittel zu geben, ihre Ställe artgerecht, klima- und umweltverträglich umzubauen“.
Auch der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ erklärte vor einer Woche: „Eine Tierhaltung auf einem höheren Tierwohlniveau nützt langfristig auch dem Klima- und Umweltschutz“. Und nicht zuletzt stieß Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) in dasselbe Horn: „Schon wenige Cent mehr pro Kilo Fleisch würden bedeuten, dass unsere Landwirte Tiere, Klima und Natur besser schützen können“.
Die Tierwohl-Abgabe soll also nicht nur Probleme beim Tierschutz lösen und Höfen eine Perspektive bieten, sondern auch zum Klimaschutz beitragen. Klimaschutz in der Tierhaltung lässt sich jedoch nicht mit vermeintlich klimafreundlichen Ställen lösen, sondern bedeutet vor allem eine deutliche Reduktion der Tierzahlen. Das fällt aber in der aktuellen Diskussion um den Umbau der Tierhaltung leider komplett unter den Tisch.
Die Borchert-Kommission und der Umbau der Tierhaltung
Die Borchert-Kommission, offiziell „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“ genannt, wurde 2019 von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) eingesetzt. Sie war die fünfte in einer Reihe von Unionspolitiker:innen, die das Agrarministerium 16 Jahre lang führten.
In all der Zeit versäumten es CDU und CSU, die Landwirtschaft an die Herausforderungen anzupassen. Der wissenschaftliche Beirat des Ministeriums hat es im Hinblick auf die Tierhaltung so ausgedrückt: „Viele der derzeitigen Haltungsbedingungen sind aus fachlicher Sicht in weiten Teilen nicht tiergerecht und vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels in wesentlichen Teilen nicht zukunftsfähig.“
Vor diesem Hintergrund beauftragte Klöckner die Borchert-Kommission, Wege in eine zukunftsfähige Tierhaltung aufzuzeigen: „Damit Nutztierhaltung bei uns in Deutschland eine gute Zukunft und gesellschaftliche Akzeptanz hat, wird sie sich verändern müssen.“
Namensgebend für die Borchert-Kommission ist Jochen Borchert, ehemaliger Bundeslandwirtschaftsminister und ebenfalls von der CDU. Zu den Mitgliedern der Kommission zählten fünf Vertreter und eine Vertreterin der Bundesländer, sechs Vertreter und eine Vertreterin aus der Wissenschaft und ein Vertreter der Bundestierärztekammer. Außerdem waren vor allem Agrar- und Wirtschaftsverbände (acht Vertreter und eine Vertreterin) sowie drei Tierhalterinnen und ein Tierhalter beteiligt, die jeweils auch ein ökonomisches Interesse an der Tierhaltung haben.
Selbsterklärter Anspruch war es, aufbauend auf der Kommission zu einem gesellschaftlichen Konsens zu kommen. Daher lud Ministerin Klöckner auch die Zivilgesellschaft ein: den BUND, den Deutschen Tierschutzbund sowie den Verbraucherzentrale-Bundesverband. Ob diese Zusammensetzung tatsächlich die Gesellschaft in ihrer Vielfalt abbildete, ist sehr zu bezweifeln, zumal sowohl der Tierschutzbund als auch der Verbraucherzentrale-Bundesverband die Empfehlungen am Ende nicht mittrugen und aus der Kommission austraten.
Die Empfehlungen der verbliebenen Mitglieder sahen im Kern drei Maßnahmen vor: die Einführung eines sogenannten Tierwohlkennzeichens, Investitionsförderungen für den Umbau von Ställen und Tierwohl-Prämien für laufende Mehrkosten.
Den jährlichen Förderbedarf bezifferte die Kommission auf 1,2 Milliarden Euro ab 2025, 2,4 Milliarden Euro ab 2030 und 3,6 Milliarden Euro ab 2040. Zur Finanzierung schlug die Kommission vor, die Kosten auf die Verbraucher:innen von Tierprodukten umzulegen: wahlweise durch eine Tierwohl-Abgabe, eine Verbrauchssteuer oder die Anhebung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes.
Das Ministerium nahm die Empfehlungen 2020 unter Julia Klöckner dankend entgegen, führte aber zunächst nur eine Machbarkeitsstudie sowie eine Folgenabschätzung durch, die beide 2021 veröffentlicht wurden. Verschiedene Gremien begrüßten die Empfehlungen, unter anderem der Bundestag und die Zukunftskommission Landwirtschaft, eine Umsetzung blieb jedoch aus.
Der neue Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir verkündete 2022, den Umbau der Tierhaltung zu forcieren, und bat die verbliebenen Mitglieder der Borchert-Kommission, die Umsetzung weiter zu begleiten. Im vergangenen Dezember gab Özdemir bekannt, dass von 2024 bis 2026 eine Milliarde Euro in einem Bundesprogramm zum Umbau der Schweinehaltung bereitstehen sollen. Da hatte die Kommission aber schon einige Monate zuvor frustriert ihre Arbeit eingestellt.
Tierwohlprämie: Kein Konzept für Klimaschutz oder gegen Höfesterben
Die Erzeugung von Fleisch, Milch und Eiern verursacht ein Vielfaches an Treibhausgasemissionen im Vergleich zu pflanzlichen Alternativen.
Maßgeblich dafür verantwortlich ist zum einen der Flächenverbrauch der Tierhaltung: In Deutschland dienen etwa 60 Prozent der Agrarflächen der Tierhaltung, darüber hinaus werden große Flächen im globalen Süden für den Futtermittelimport nach Deutschland in Anspruch genommen. Enorme Mengen an Treibhausgasen werden frei, wenn Regenwälder gerodet und trockengelegte Moore bewirtschaftet werden.
Aber auch grundsätzlich entstehen vermeidbare Emissionen, wenn Ackererzeugnisse an Tiere verfüttert werden, anstatt direkt Nahrungsmittel für Menschen anzubauen. Dazu kommen direkte Emissionen aus der Tierhaltung, unter anderem durch Verdauungsprozesse von Wiederkäuern und über die Ausscheidungen der Tiere.
Um die planetaren Grenzen einzuhalten, bedarf es einer Reduktion der Tierzahlen in Deutschland um mindestens 75 Prozent, so eine Studie des Öko-Instituts im Auftrag von Greenpeace aus dem Jahr 2022.
Dass die Tierzahlen deutlich sinken müssen, darauf ist die Borchert-Kommission in ihren Empfehlungen jedoch nicht eingegangen. Später schob die Kommission zwar nach, dass die Maßnahmen eine Reduktion der Tierzahlen implizierten. Branchenvertreter:innen wiederum ließen verlautbaren, dass eine Beibehaltung der gegenwärtigen Tierzahlen mit den Borchert-Empfehlungen vereinbar sei und dies auch das Ziel sein sollte.
Der Frage wissenschaftlich auf den Grund gegangen ist das Thünen-Institut, das im April 2021 im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums eine Folgenabschätzung vorlegte. Das bundeseigene Forschungsinstitut urteilte über die erwartete Wirkung der Empfehlungen auf Umfang und Struktur der Tierhaltung: „Dieser Teil der Folgenabschätzung bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr spekulativ.“ Anhand der verschiedenen Szenarien, die das Thünen-Institut exemplarisch durchspielte, zeigte sich: Die Maßnahmen könnten einer Reduktion der Tierzahlen sogar entgegenwirken.
Auch die Erwartungen, dass insbesondere kleinbäuerliche Höfe durch die Tierwohl-Milliarden vor dem Höfesterben bewahrt werden könnten, wurden durch die Folgenabschätzung gedämpft: Betriebe, die wegen zu geringer Bestandsgrößen nicht wirtschaftlich zu betreiben seien, würden durch eine Kompensation tierwohlbedingter Mehraufwendungen nicht plötzlich rentabel.
Das Branchenmagazin Agrarheute kommentierte die Folgenabschätzung so: „Den Strukturwandel wird das dennoch kaum beeinflussen. Die Zahl der Rinder- und Schweinehaltungen wird bis 2040 voraussichtlich trotzdem unter 20.000 fallen, von derzeit etwas über 150.000. Das bedeutet, nur jeder achte Profi-Tierhalter wird die kommenden 20 Jahre durchstehen.“
So nachvollziehbar der Ruf kleinerer und auf Umweltschutz bedachter Betriebe nach einer stabileren Finanzierung ist: Die Borchert-Empfehlungen würden es nicht richten.
... und kein Konzept gegen das Tierleid
Kommen wir zum zentralen Thema der Borchert-Empfehlungen, dem sogenannten „Tierwohl“. Die Kommission schlug dafür drei Abstufungen vor, die alle von der Tierwohl-Prämie gefördert werden sollen: Stufe 1/Stall plus, Stufe 2/verbesserte Ställe sowie Stufe 3/Premium.
Mengenmäßig den größten Anteil an der deutschen Fleischproduktion nimmt Schweinefleisch ein, die Borchert-Kommission legte daher ihr besonderes Augenmerk auf die Schweinehaltung. Stufe 1 sieht hier etwas mehr Platz und mehr Beschäftigungsmaterial für die Tiere vor.
Viele Aspekte der Haltung, die für massives Leid sorgen, bleiben aber bestehen. Die Tiere sind auf hohe „Leistung“ gezüchtet und werden durch Kupieren der Schwänze körperlich verstümmelt, um sie dem Haltungssystem anzupassen. Sie können weiterhin zentrale Bedürfnisse nicht ausleben, Schweine können zum Beispiel in den Ställen nicht mehr als ein paar Schritte gehen und erst recht nicht im Boden wühlen oder suhlen.
Dazu kommt, dass bauliche Veränderungen und etwas Beschäftigungsmaterial allein nicht verhindern, dass Tiere Krankheiten und Verletzungen erleiden. Denn diese hängen stark vom individuellen Betriebsmanagement ab – auch bei den höheren Tierwohl-Stufen.
Nicht zuletzt bliebe bei allen Stufen weiterhin der unausweichliche Transport zum Schlachthof. Und dort warten außer dem Tod auch qualvolle Betäubungsmethoden. Schweine werden in den meisten Fällen mit CO2 betäubt, was bei ihnen Atemnot und Panik verursacht. Das betrifft übrigens auch Bio-Schweine, bei deren Schlachtung ebenfalls der Tönnies-Konzern Marktführer ist.
Das zeigt das grundsätzliche Problem des Begriffs „Tierwohl“. Er suggeriert, dass sich bei den Tieren ein Wohlbefinden einstellen würde. Dabei führen Veränderungen, wie die Borchert-Kommission sie vorschlägt, höchstens dazu, dass das massive Leid geringfügig verringert wird.
Da eine ausgewogene Ernährung auch ohne Tierprodukte möglich ist und bereits immer mehr Verbreitung findet, wird die gesellschaftliche Akzeptanz weiter sinken. Die Akzeptanz ist allerdings, wie der wissenschaftliche Beirat des Landwirtschaftsministeriums betont, Voraussetzung für eine zukunftsfähige Tierhaltung.
Tierhalter:innen brauchen geförderte Umstiegsperspektiven
Die Borchert-Empfehlungen waren bereits zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung nicht die richtigen Antworten auf die enormen Herausforderungen der Landwirtschaft. Jetzt, nach vier weiteren Jahren der Verschärfung der Klimakrise, wirkt der Ruf nach einer Tierwohl-Abgabe wie aus der Zeit gefallen.
Eine grundlegende Forderung der Landwirtschaftsverbände ist verständlicherweise Planungssicherheit und eine verlässliche Einkommensquelle. Zentrale Voraussetzung dafür wäre ein Zielbild der Landwirtschaft der Zukunft. Hinsichtlich des Klimas ist klar, was das vor allem bedeuten müsste: eine Landwirtschaft mit deutlich weniger Tierhaltung. Es braucht daher ein Bekenntnis aller Beteiligten, dass die Tierzahlen deutlich sinken müssen.
Dann wäre auch klar, dass nicht noch mehr Gelder in die Aufrechterhaltung hoher Tierzahlen investiert werden dürften – ähnlich wie bei der Energiewende, wo klar ist, dass Investitionen in fossile Energien enden müssen. Für Tierhalter:innen würde das bedeuten: Geld für Ausstieg statt Umbau. Hier müsste politisches Handeln Planungssicherheit schaffen, indem den Landwirt:innen eine wirtschaftliche Perspektive jenseits der Tierhaltung aufgezeigt wird.
Aktuell werden in Deutschland 24 Prozent mehr Fleisch produziert als nachgefragt. Gleichzeitig besteht schon heute eine riesige Lücke bei der Erzeugung von Obst, Gemüse, Nüssen und Hülsenfrüchten. Wir müssen daher wegkommen vom Höfesterben hin zum Umstieg der Höfe auf pflanzenbasierte Landwirtschaft. Die Bundesregierung hat bereits einen Schritt in diese Richtung unternommen. Mit einem „Chancenprogramm Höfe“ sollen Landwirt:innen unterstützt werden, die aus der Tierhaltung aussteigen und stattdessen etwa Hülsenfrüchte oder Pilze erzeugen wollen.
Gleichzeitig braucht es deutliche Maßnahmen für die Ernährungswende, damit die Tierhaltung nicht einfach ins Ausland verlagert wird, sondern die schon laufende Entwicklung hin zu stärker pflanzenbasierten Ernährungsweisen sich weiter beschleunigt. Das kann klappen, wenn pflanzliche Optionen systematisch besser zugänglich, attraktiver und günstiger werden. Als Teil davon können Preisaufschläge bei tierischen Produkten dazu beitragen, dass deren Konsum sinkt. Wie wäre es allerdings, wenn die Einnahmen eine Klima-Prämie anstelle einer Tierwohl-Prämie finanzieren würden?
So könnten sowohl Konsument:innen als auch Landwirt:innen profitieren. Als Klimageld ausgezahlt, könnte die entstehende Verteuerung für die Konsument:innen sozial abgefedert werden. Die Landwirt:innen könnten für Ökosystemdienstleistungen entlohnt werden, die sie bisher weder vom Markt noch von bestehenden Subventionen ausreichend honoriert bekommen.
Vor allem für kleinere und auf Umweltschutz bedachte Betriebe könnte das einen wichtigen Beitrag darstellen. Und das würde die Landwirt:innen auch unabhängiger von der Konzernmacht der Molkereien, der Fleischindustrie und des Lebensmittelhandels machen.
Daneben braucht es selbstverständlich noch eine Reihe weiterer Maßnahmen. Die AbL etwa nennt in ihrem aktuellen agrarpolitischen Sechs-Punkte-Plan wichtige Punkte, darunter die Stärkung der Erzeuger:innen gegenüber der Marktmacht der großen Unternehmen im nachgelagerten Bereich. Auch eine Reform der EU-Agrarförderung sowie eine Regulierung des Bodenmarkts gegen Großinvestoren zählt dazu.
Immer wieder auf die Borchert-Empfehlungen zu verweisen, bringt die dringend notwendige Transformation der Landwirtschaft dagegen nicht voran und steht einer klimagerechten Landwirtschaft im Weg.
Veröffentlicht im Online-Magazin Klimareporter: https://www.klimareporter.de/landwirtschaft/finanzierter-umstieg-statt-tierwohlpraemie.