Entwicklung der Tierzahlen bis 2034? Thünen-Referenzszenario und alternative Szenarien

Das Bundesforschungsinstitut Thünen hat Ende 2024 sein Referenzszenario zur Entwicklung der Landwirtschaft bis 2034 vorgestellt. Das Institut erwartet insgesamt einen leichten Rückgang der Tierzahlen. Unser Blog-Artikel ordnet das Szenario im Hinblick auf unterschiedliche Alternativ-Szenarien, die öffentlich diskutiert werden, ein.
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In seinem Ende 2024 erschienenen Bericht „Thünen-Baseline 2024 – 2034: Agrarökonomische Projektionen für Deutschland“ stellt das Thünen-Institut die erwarteten Entwicklungen im Agrarsektor vor. Dabei zeichnen die Wissenschaftler*innen ein Referenzszenario unter Berücksichtigung bestimmter Annahmen etwa zur nationalen Agrarpolitik und der Entwicklung des globalen Wirtschaftswachstums. Die Ergebnisse zeigen dabei unter anderem sinkende Tierzahlen und einen Rückgang der gesamten Fleischerzeugung, während die Geflügelfleischerzeugung weiter gesteigert werden könnte. Die „Milchkuh“-Bestände würden sinken, während die Milchproduktion durch eine fortgesetzte Steigerung der Produktivität leicht ansteigen könnte.

In diesem Blog-Beitrag betrachten wir das Thünen-Szenario und stellen dazu alternative Szenarien vor. So geben wir einen Überblick, wie verschiedene relevante Akteur*innen sich die Entwicklung der Tierhaltung vorstellen. Außerdem bewerten wir für jedes Szenario, inwieweit diese den Anforderungen an ein gerechtes Ernährungssystem entsprechen. Der Beitrag soll so einen groben Überblick über die Diskussionslandschaft geben. Für tiefergehende Betrachtungen der unterschiedlichen Szenarien sei an der Stelle auf den Thünen-Bericht sowie die jeweils verlinkten Veröffentlichungen verwiesen.

Thünen-Institut erwartet Rückgang der Tierzahlen

Alle zwei Jahre erstellt das Thünen-Institut (mit vollem Namen „Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei“) einen Bericht zu den erwarteten Entwicklungen im Agrarsektor über die nächsten zehn Jahre: die sogenannte „Thünen-Baseline“. Für die Berechnung dieser Entwicklungen zieht das Institut historische Trends heran und nimmt an, dass die bisherige Agrarpolitik, unter Berücksichtigung bereits beschlossener Politikänderungen, weitergeführt wird.1

Als Teil der Berechnungen wird in der „Thünen-Baseline“ auch dargestellt, wie sich die Tierhaltung und die Erzeugung tierischer Produkte entsprechend dieser Annahmen entwickeln würden. Im Rahmen des Szenarios gehen die Tierzahlen vor allem in der Rinder- und Schweinehaltung zurück, während der Geflügelbestand weiter steigt. Obwohl die Zahl der so genannten „Milchkühe“ sinkt, nimmt die Milchproduktion weiter zu. Der Grund hierfür ist die Erwartung, dass die „Milchleistung“ der Tiere im Schnitt um 10 % gesteigert wird.

Entwicklung der Tierbestände sowie der Produktion tierischer Erzeugnisse in der deutschen Landwirtschaft,
prozentuale Änderung 2034 gegenüber Ø 2020-2022.1

Ein deutlicher Abbau der Tierhaltung ist dringend nötig

Der insgesamt leichte Rückgang der Tierzahlen der letzten Jahre scheint sich demnach fortzusetzen. Doch welche Entwicklung wäre eigentlich erforderlich, um die vielfältigen Krisen im Zusammenhang mit der Tierhaltung zu bewältigen?

Klimawirkung der Tierhaltung

Eine Reduktion der Tierzahlen in der Landwirtschaft ist aus vielen längst bekannten Gründen notwendig. Das vermutlich meistbesprochene Thema ist dabei die Klimawirkung der Tierhaltung. Mit 78,5 Mio. t CO2-Äq. betrug ihr Anteil an den jährlichen deutschen Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft (inklusive CO2-Äq. aus Moorböden) 2020 ganze 83 %, während die restlichen 17 % zu etwa gleichen Teilen durch Emissionen aus dem Anbau von Energiepflanzen und für die pflanzliche Ernährung verursacht wurden. Die Emissionen der Tierhaltung liegen zu etwa einem Drittel in der Verdauung der Tiere und den damit verbundenen Methan-Emissionen begründet, während die restlichen zwei Drittel der Emissionen aus der Land- und Düngemittelnutzung stammen. Besonders schlägt dabei Moorgrünland als Weidefläche und Quelle für Futtermittel ins Gewicht: dieses verursacht etwa so viel Treibhausgasemissionen wie die Verdauung der Tiere.

Treibhausgasemissionen in der deutschen Landwirtschaft inklusive CO2-Äq. aus landwirtschaftlich genutzten Moorböden. Dargestellt werden die jeweiligen Anteile der Verwendung für die Tierhaltung, für die pflanzliche Ernährung bzw. für Energiepflanzen (d. h. Pflanzen speziell zur Erzeugung von Bioenergie).2

Überschreitung Planetarer Grenzen

Der Ressourcenverbrauch der Tierhaltung in Deutschland trägt zusätzlich zum Überschreiten Planetarer Grenzen bei, wie in der folgenden Grafik ersichtlich wird. Würden global alle Menschen so viele Tierprodukte konsumieren wie die Menschen in Deutschland, wäre die Stickstoffzufuhr um 50 % größer als das Level, auf dem die Wasserverschmutzung noch akzeptabel wäre. Im Gegensatz dazu zeigen Berechnungen des Umweltbundesamt, dass diese Werte mit einer pflanzenbasierten Ernährungsweise deutlich reduziert werden könnten.

Weltweite ernährungsbedingte Umweltauswirkungen (als Prozentsatz der Planetaren Grenzen).
Verglichen wird das Szenario, in dem alle Menschen global so viele Tierprodukte konsumieren
wie die Menschen in Deutschland, mit dem Szenario einer überwiegend pflanzenbasierten Ernährungsweise.3

Wirtschaftliche Situation der Landwirt*innen

Und auch für Landwirt*innen stellt die Tierhaltung immer seltener eine existenzsichernde Einkommensquelle dar, was sich in der Entwicklung der Betriebszahlen zeigt. Zwischen 2010 und 2020 sank die Zahl der milchkuhhaltenden Betriebe um 40 % und die der schweinehaltenden Betriebe um 47 %. Nach dem Motto „Wachsen oder Weichen“ stieg gleichzeitig der durchschnittliche Tierbestand je Betrieb in der Milchkuhhaltung um 57 %, in der Schweinehaltung sogar um 80 %.4

Situation der Tiere

Und nicht zuletzt ist der Status Quo für die sogenannten „Nutztiere“ mit enormen Leiden verbunden. Die Haltungsbedingungen und die immer weiter voranschreitende Hochleistungszucht führen bei den Schweinen, Rindern, Hühnern und weiteren Tieren systematisch zu Qualen und Krankheiten. Unter den „Milchkühen“ etwa gehen laut einer Studie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover etwa ein Drittel der Tiere lahm und sind damit permanenten Schmerzen und Leid ausgesetzt.5

Das Elend in den Mastbetrieben verdeutlichen die Sterblichkeitsraten: etwa 3 bis 8 % der Hühner sterben noch während der Mast,6 7 in der Schweinehaltung sterben sogar 20 % der Tiere durch Krankheit oder „Nottötung“.8 Diese konkreten Missstände verstärken die grundsätzlich mit jeder Form der „Nutztierhaltung“ einhergehende Ausbeutung der Tiere, die immer wieder Stress und Schmerzen ausgesetzt sind und letztlich in der Regel getötet werden.

Missverhältnisse beim Selbstversorgungsgrad

Außerdem werden in Deutschland weiterhin mehr Tierprodukte erzeugt als für den aktuellen inländischen Bedarf notwendig wäre. Der Selbstversorgungsgrad dieser Produkte lag im Jahr 2023 in fast allen Kategorien über 100 %, lediglich die Versorgung mit Eiern lag mit 73 % unter dem deutschen Bedarf. Im starken Kontrast dazu steht die inländische Versorgung mit pflanzlichen Lebensmitteln, insbesondere mit Obst und Gemüse. Während die Bedarfe an Getreide, Kartoffeln und Zucker durch Anbau in Deutschland gedeckt sind, wird nur etwa 37 % des benötigten Gemüses und lediglich 20 % des Obstes im Land produziert;9 bei Nüssen beträgt der Selbstversorgungsgrad wenige Prozent.10 Mit einer Reduktion der Tierzahlen würden Anbauflächen, die heute noch der Futtermittelproduktion dienen, für die Versorgung mit pflanzlichen Lebensmitteln frei werden, sodass auch diese Bedarfe stärker gedeckt werden könnten.

Weitere Informationen zu den Zusammenhängen von Tierhaltung, Klima und Umwelt und den Vorteilen eines pflanzenbasierten Ernährungswesens haben wir in anschaulichen Online-Modulen zusammengestellt.

Alternative Szenarien der Entwicklung der Tierzahlen

Dass es eine weitreichende Umstrukturierung der Landwirtschaft und insbesondere eine deutliche Reduktion der Tierhaltung braucht, ist also offenkundig. Der Baseline-Bericht des Thünen-Instituts beschreibt eine mögliche Entwicklung auf Grundlage der gegenwärtigen Politik und Wirtschaftslage. Der dabei zu erwartende teilweise Rückgang der Tierzahlen wird diesen Anforderungen allerdings nicht gerecht.

Die Zukunft der Tierhaltung ist jedoch gestaltbar und wird von verschiedensten Interessengruppen verhandelt. Die zu beobachtenden Positionen reichen von einem „Weiter wie bisher“ bis zum Szenario einer veganen Landwirtschaft. Wir beleuchten im Folgenden fünf verschiedene Szenarien dazu, wie sich die Tierzahlen alternativ entwickeln könnten und zeigen auf welche Fürsprecher*innen sich dafür einsetzen.

Die vorgestellten Szenarien lassen sich grob im Hinblick auf die damit einhergehende Entwicklung der Tierzahlen vergleichen.

Szenario „Weiter wie bisher“

Dieses Szenario wird vor allem von der Fleischindustrie und dem Deutschen Bauernverband stark gemacht. Dabei setzen sich die Fürsprecher*innen des Szenarios nicht etwa für eine Beibehaltung der gegenwärtigen Strukturen ein, sondern treiben die bereits seit Jahrzehnten andauernde Industrialisierung und Konzentrierung konsequent voran. Dass die Tierhaltung dem Klima schadet, wird bisweilen schlichtweg geleugnet. Ein prominentes Beispiel dafür ist Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes und Kandidat für das Bundeslandwirtschaftministerium der CSU. Er behauptete jüngst: „Das Tier ist klimaneutral, weil es Biomasse frisst“.11

Andere Lobbyist*innen erkennen die Klimarelevanz der Tierhaltung grundsätzlich an, sehen aber keine Notwendigkeit, die Tierzahlen zu reduzieren. Vielmehr wollen sie das Problem technisch lösen und versprechen Innovationen, angepasste Zucht und gesteigerte Effizienz.12

Von zentraler Bedeutung ist dabei die Darstellung Deutschlands als „Gunstregion“ für die sogenannte „Veredelung“: hierzulande könne vergleichsweise klimafreundlich Fleisch produziert werden. Allerdings werden hierbei gerne relevante und der Tierhaltung zuzuordnende Emissionsquellen unterschlagen, wie zum Beispiel aus Importen von Futtermitteln oder synthetischen Düngemittel.

Durch diesen vermeintlichen Klimaschutz durch Fleischexporte versucht sich die Fleischindustrie von der weiter sinkenden inländischen Nachfrage unabhängig zu machen – und ihr auf der emissionsintensiven Tierhaltung basierendes Geschäftsmodell zu retten.

Nicht zuletzt birgt dieses Szenario auch keinerlei Potential für verringertes Tierleid, sondern befeuert dieses durch die Intensivierung sogar weiter. Auch die landwirtschaftlichen Betriebe müssten weiterhin wachsen, um zu überleben, und sind den gleichen wirtschaftlichen Zwängen wie bisher ausgesetzt.

Welche Entwicklungen sich die Fürsprecher*innen dieses Szenarios im Hinblick auf die Tierzahlen vorstellen, lässt sich anhand folgender Aussagen von Fleischkonzern-Geschäftsführer Max Tönnies verdeutlichen: „Deutschland braucht mehr Schweine, nicht weniger“.13

Szenario „Tierwohl“-Umbau

Einen Entwurf dazu, wie die Tierhaltung hin zu mehr „Tierwohl“ umgebaut werden soll, hat die sogenannte Borchert-Kommission (auch Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung (KNW) genannt) vorgeschlagen. Diese wurde ins Leben gerufen, nachdem der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik die derzeitigen Haltungsbedingungen aus fachlicher Sicht untersucht und diese in weiten Teilen als nicht tiergerecht und zukunftsfähig bewertet hatte.14

Selbsterklärtes Ziel der Befürworter*innen des „Tierwohl“-Umbaus ist es, dass die Nutztierhaltung wieder eine größere gesellschaftliche Akzeptanz erlangt – durch „ein Mehr an Tierwohl, Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit für die Bauern“.15 Maßnahmen dafür sollen Haltungskennzeichen und Investitionsförderung für den Umbau von Ställen sein. Auch langfristige Prämien für dauerhafte Mehrkosten, die durch die erhöhten Anforderungen entstehen, werden gefordert.

Ob mit den von der Borchert-Kommission vorgelegten Empfehlungen tatsächlich der Anspruch auf breiten gesellschaftlichen Konsens erfüllt wird, ist allerdings umstritten. Denn die in der Borchert-Kommission vertretenen Akteur*innen stammten hauptsächlich aus Wirtschaftsverbänden und den Agrarwissenschaften, breite Teile der Gesellschaft und deren Perspektiven wurden im Prozess nicht miteinbezogen.

Und auch hinsichtlich der Auswirkungen auf die Tierhaltung ist die Wirksamkeit der Vorschläge unklar: In einer Folgenabschätzung zu den Empfehlungen der Kommission beurteilten Wissenschaftler*innen des Thünen-Instituts es als „sehr spekulativ“, wie sich die Empfehlungen auf die Anzahl und die Größenstruktur landwirtschaftlicher Betriebe auswirken würden.16 Zumindest was die Anzahl der Betriebe betrifft kamen die Wissenschaftler*innen zu der Einschätzung, dass diese trotz verschiedener Anreize bis 2040 drastisch sinken und nur jeder achte tierhaltende Betrieb überleben würde:17„Die Zahl der tierhaltenden Betriebe hat in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen, und die Bestandsgrößen sind stark angewachsen […] Diese Dynamik des Strukturwandels wird sich durch die vom KNW empfohlene Nutztierstrategie voraussichtlich nur geringfügig ändern […] Die im Haupterwerb betriebene, kommerzielle Nutztierhaltung wird somit in Deutschland voraussichtlich 2040 nur noch weniger als 20.000 Betriebe umfassen.“16

Auch ob mit den Empfehlungen das Ziel des erhöhten „Tierwohls“ erreicht werden würde, konnte durch die Folgenabschätzung aufgrund der vielen möglichen Entwicklungen nicht geklärt werden. So schrieben die Autor*innen: „Letztlich bleibt es somit der Einschätzung der Leser*innen überlassen, welchen Entwicklungspfad sie (a) für mehr oder weniger wahrscheinlich halten und welche ihnen (b) mehr oder weniger erstrebenswert erscheinen.“16

Und: unter den möglichen Entwicklungspfaden gibt es auch solche, bei denen die Empfehlungen zu einem Anstieg der Tierzahlen führen würden: „Würde sich ein Unternehmen aufgrund der Nutztierstrategie entschließen, einen mittelgroßen Geflügelschlachthof in einer Ackerbauregion neu zu errichten, so würde die nationale Produktionsmenge um ca. 8 % steigen.“16

Eine verringerte Klima- und Umweltschädigung der Tierhaltung wäre somit durch den „Tierwohl“-Umbau nicht gesichert.

Szenario Flächenbindung

Vorrangig von Naturschutzorganisationen sowie Verbänden der Ökolandwirtschaft sowie von Kleinbäuer*innen zur Diskussion gestellt, bildet das Konzept der Flächenbindung einen Gegenentwurf zur sogenannten Massentierhaltung. Im Kern geht es um eine Reduktion der Tierzahlen auf ein solches Maß, welches für die bewirtschaftete landwirtschaftliche Fläche noch ökologisch verträglich ist. Eine gängige Obergrenze für diesen sogenannten Besatz sind zwei Großvieheinheiten je Hektar (GVE/ha), also beispielsweise zwei „Milchkühe“, zehn „Mastschweine“ oder gut 666  „Masthähnchen“.18 Die Flächenbindung soll bewirken, dass Umweltschäden durch Überdüngung verringert, Geruchsbelastungen vermieden und Tiere überwiegend mit regionalem Futter versorgt werden – und damit einhergehend auch die Tierzahlen sinken.

Kritiker*innen einer allgemeinen Flächenbindung verweisen darauf, dass pauschale Obergrenzen die unterschiedlichen Nährstoffhaushalte der jeweiligen Landschaftstypen unbeachtet lassen würden – so besteht das Risiko, dass weitere seltene Lebensräume wie zum Beispiel artenreiches Grünland, welches sich nur bei sehr geringer Nährstoffzufuhr entwickeln kann, verloren gehen.18

In welchem Umfang eine Flächenbindung tatsächlich auch zur Reduktion der Tierzahlen führen würde, ist ebenfalls fraglich:. Eine Studie des Öko-Instituts aus dem Jahr 2019 zeigte, dass es auf die konkrete Ausgestaltung ankommen würde: Eine Obergrenze von zwei GVE/ha je Betrieb hätte zum damaligen Zeitpunkt etwa 15 % weniger Nutztiere in Deutschland zur Folge gehabt.19 Da Gülle in der Praxis aber auch auf Flächen anderer Betriebe ausgebracht wird, ist es gängig, die Flächenbindung auf Landkreisebene anstelle auf Betriebsebene anzusetzen. Dadurch ergäbe eine Obergrenze von zwei GVE/ha eine Reduktion von nur knapp 3 % der Tierzahlen. In beiden Fällen würde aber die Reduktion nur unter der Voraussetzung passieren, dass Betriebe bzw. Landkreise mit geringeren Besatzdichten nicht bis zur Obergrenze aufstocken. So wird deutlich: eine Flächenbindung könnte zwar Umweltbelastungen auf einzelnen Flächen reduzieren, würde aber nur begrenzt zu einer Reduktion der Tierzahlen in Deutschland führen.

Szenario Pflanzenbasierte Transformation

Eine deutlichere Reduktion der Tierzahlen fordern viele Klimaschutz- und Ernährungsorganisationen, so etwa die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit KLUG und Greenpeace. Basierend auf der Frage, wie die wachsende Weltbevölkerung künftig gesund ernährt werden kann, ohne die bereits beschriebenen planetaren Grenzen zu überschreiten, skizzierte die EAT-Lancet Kommission mit ihrer Planetary Health Diet eine Ernährungsweise, welche gleichzeitig gesund für Menschen und den Planeten sein soll. Zentral für deren Umsetzung ist eine deutliche Reduktion des Konsums tierischer sowie ein wesentlich größerer Anteil pflanzlicher Lebensmittel.

In Deutschland müsste vor diesem Hintergrund der Konsum tierischer Produkte um 75 % reduziert werden mit einer gleichzeitigen Verdoppelung der Menge an konsumiertem Obst, Gemüse, Nüssen und Hülsenfrüchten.2 In diesem Szenario gingen die Tierzahlen in Deutschland um 49 bis 84 % zurück (siehe folgende Grafik), während die freiwerdenden Agrarflächen für den Anbau pflanzlicher Lebensmittel genutzt werden könnten.

Tierzahlen für die gesamte Landwirtschaft (inklusive Export), unsere heutige Ernährung
und eine Ernährung nach der Planetary Health Diet.2

Damit eine solche umfassende Umstrukturierung passiert, bräuchte es allerdings neben dem Druck aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft auch politische Anreize. Insbesondere müssten Landwirt*innen beim Umstieg von Tierhaltung auf den Anbau pflanzlicher Erzeugnisse stärker unterstützt werden. Mittlerweile sind schon viele Betriebe bereit aus der Tierhaltung auszusteigen, sofern dies mit finanziellen Anreizen verbunden ist.20 Neben kurzfristigen Ausstiegsprämien kann ein solcher Umstieg auch langfristig zu höheren Einkommen in der Landwirtschaft führen,21 allerdings erfordert diese Transformation des gesamten Sektors zunächst hohe Investitionen.

Für Umwelt und Klima, die Menschen in der Landwirtschaft und in der breiten Gesellschaft sowie für die Tiere stellt das Szenario der pflanzenbasierten Transformation eine deutliche Verbesserung der aktuellen Situation dar.

Szenario Vegane Transformation

Komplett ohne Tiere und tierische Produkte zu wirtschaften ist das Leitbild der veganen Landwirtschaft. Vertreten wird dieses hauptsächlich durch vegane Organisationen sowie durch die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung. Neben der Vermeidung von Tierleid birgt diese Form der Ernährung und Landwirtschaft auch das größte Einsparungspotenzial an Treibhausgasen, wie in der folgenden Grafik des Umweltbundesamts zu sehen ist.

Änderung der lebensmittelbezogenen Treibhausgasemissionen in Deutschland (NDG = national dietary guidelines,
FLX = Flexitarian, PSC = Pescetarian, VEG = Vegetarian, VGN = Vegan).3

Pionierarbeit hierfür leistet in Deutschland der Förderkreis biozyklisch veganer Anbau, welcher die Machbarkeit ökologischer Landwirtschaft auf rein pflanzlicher Grundlage demonstriert und das erarbeitete Wissen streut. Bereits heute zeigen viele Höfe. dass es nicht nötig ist, Tiere zu halten oder tierische (Abfall-)Produkte zu nutzen, um produktive Landwirtschaft zu ermöglichen.

Klar ist, dass auch dieses Szenario nicht durch voranschreitende Landwirt*innen alleine umgesetzt werden könnte, sondern eine sehr weitreichende Transformation des Ernährungssystems erfordern würde. Auch die Wissenschaft ist gefragt, weitere Erkenntnisse zur großflächigen Umsetzung einer veganen Landwirtschaft beizutragen.

Fazit

Vergleichen wir das Referenzszenario des Thünen-Instituts mit den vorgestellten Alternativ-Szenarien, zeigen sich Überschneidungen vor allem mit Teilen des Szenarios „Weiter wie bisher“ sowie des Szenarios „Tierwohlumbau“. Die in der Baseline beschriebene Steigerung der individuellen Milchleistung von Kühen entspricht den recht konservativen Bildern einer auf Effizienz ausgerichteten Tierhaltung. Hinsichtlich der Tierzahlen beschreibt die Baseline, dass diese im Zusammenhang mit „ungünstigen wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und steigender Umwelt- sowie Tierschutzanforderungen“22 zurückgehen könnten – eine aktive Reduktion der Tierzahlen also weiterhin nicht erwartet wird.

Aufgrund der zuvor beschriebenen Probleme, die mit der Tierhaltung verbunden sind, müssen die Tierzahlen jedoch weitaus stärker zurückgehen. Effizienzmaßnahmen wie die Steigerung der Milchleistung stellen keine echte Lösung dar, sondern lösen nur einen Teil der Probleme auf Kosten der Tiere. Auch die Flächenbindung würde zu kurz greifen. Um eine nachhaltige Lösung zu schaffen, führt an einem Wandel hin zu einem pflanzenbasierten Ernährungssystem kein Weg vorbei.

Vor diesem Hintergrund leistet die Thünen-Baseline einen wichtigen Beitrag, die Lücke zwischen den zu erwartenden Entwicklungen in den nächsten zehn Jahren und den darüber hinausgehenden Erfordernissen aufzuzeigen. Die jüngste Bundestagswahl wird nach aktuellem Stand vermutlich nicht zu den richtigen Weichenstellungen auf Bundesebene führen. Umso wichtiger bleibt der Einsatz von progressiven Praktiker*innen und Zivilgesellschaft für den nötigen Wandel.

Quellen:

[1]: Thünen-Institut (2024): „Deutschlands Landwirtschaft bis 2034“. Online: https://www.thuenen.de/de/thuenen-institut/verbundstrukturen/thuenen-modellverbund/die-thuenen-baseline/deutschlands-landwirtschaft-bis-2034.

[2]: Scheffler/Wiegmann (2022): „Gesundes Essen fürs Klima. Auswirkungen der Planetary Health Diet auf den Landwirtschaftssektor“. Hg.: Öko Institut, Greenpeace. Online: https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/Planetary_Health_Diet_-Landwirtschaft.pdf.

[3]: Springmann (2023): „Towards healthy and sustainable diets in Germany An analysis of the environmental effects and policy implications of dietary change in Germany“. Hg.: Umweltbundesamt. Online: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/11740/publikationen/2023-05-10_texte_67-2023_towards_healthy_1.pdf.

[4]: Deutscher Bauernverband (2023): „Situationsbericht 2023/24“. Online: https://web.archive.org/web/20240926200404/https://www.situationsbericht.de/3/37-transformation-in-der-landwirtschaft.

[5]: Faba Konzepte (2024): „Milchmärchen“. Online: https://faba-konzepte.de/wp-content/uploads/2024/10/2024-10-22-Milchmaerchen-Report.pdf.

[6]: Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen (2023): „Richtlinie für die Ermittlung des gemeinen Wertes von Geflügel“. Online: https://www.landwirtschaftskammer.de/landwirtschaft/tierseuchenkasse/pdf/schaetzrahmen-gefluegel.pdf, S. 8;

[7]: Thobe et al.: „Steckbriefe zur Tierhaltung in Deutschland: Mastgeflügel“ (2024). Hg.: Thünen-Institut für Betriebswirtschaft. Online: https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn069212.pdf, S. 17

[8]: Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (2017): „Untersuchungen an verendeten/getöteten Schweinen in Verarbeitungsbetrieben für tierische Nebenprodukte“. Online: https://www.tiho-hannover.de/universitaet/aktuelles-veroeffentlichungen/pressemitteilungen/detail/untersuchungen-an-verendeten-getoeteten-schweinen-in-verarbeitungsbetrieben-fuer-tierische-nebenprodukte.

[9]: BMEL (2024): „Versorgungsbilanzen“. Online: https://www.bmel-statistik.de/ernaehrung/versorgungsbilanzen.

[10]: Dräger de Teran et al. (2021): „So schmeckt Zukunft: Wasserverbrauch und Wasserknappheit“. Hg.: WWF. Online: https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Landwirtschaft/WWF-Studie-Kulinarischer-Kompass-Wasser.pdf.

[11]: Jost Maurin (2025): „Treibhausgasbilanz von Tieren Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende“. Hg: taz.de. Online: https://taz.de/Treibhausgasbilanz-von-Tieren/!6067322/.

[12]: Germanwatch (2025): „‘Super-Emittenten‘ der Fleisch- und Milchwirtschaft in Deutschland“. Online: https://faba-konzepte.de/wp-content/uploads/2025/01/germanwatch_super-emittenten_in_der_fleisch-_und_milchwirtschaft_0.pdf.

[13]: Süddeutsche Zeitung (2024): „Max Tönnies: ‚Deutschland braucht mehr Schweine‘“. Online: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wirtschaft/toennies-firmenchef-plaene-zukunft-interview-e822261/.

[14]: Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik (2015): „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ . Hg.: BMEL. Online: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/GutachtenNutztierhaltung.pdf?__blob=publicationFile&v=2

[15]: BMEL (2020): „Nutztierhaltung der Zukunft: Wir brauchen einen nationalen Tierwohlkonsens“. Online: https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/030-kompetenznetzwerk-nutztierhaltung.html.

[16]: Thünen-Institut (2021): „Politikfolgenabschätzung zu den Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung“. Online: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Nutztiere/folgenabschaetzung-borchert.pdf?__blob=publicationFile&v=6.

[17]: Agrarheute (2021): „Mehr Tierwohl geht für 5 Cent pro Mahlzeit“. Online: https://www.agrarheute.com/politik/nutztierhaltung-kloeckner-folgenabschaetzung-beim-tierwohl-580862.

[18]: Heinrich-Böll-Stiftung (2019): „Fleischatlas 2018 – Flächenbindung: Grenzen für Nutztiere“. Online: https://www.agrarraum.info/material/fleischatlas_2018_V.pdf?dimension1=ds_fleischatlas_2018#page=20

[19]: Öko-Institut e.V. (2019): „Quantifizierung von Maßnahmenvorschlägen der deutschen Zivilgesellschaft zu THG-Minderungspotenzialen in der Landwirtschaft bis 2030“. Online: https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/Quantifizierung-von-Massnahmenvorschlaegen-der_Klima-Allianz_Landwirtschaft.pdf.

[20]: Agrarheute (2021): „Ausstiegsprämie für Schweinehalter: 60 % würden für Geld aufgeben“. Online: https://www.agrarheute.com/tier/schwein/ausstiegspraemie-fuer-schweinehalter-60-wuerden-fuer-geld-aufgeben-585584.

[21]: Florian Freund, Thünen Institute für Marktanalyse (2023): „Vom Teller zum Hof – Was bedeutet eine nachhaltige Ernährung für landwirtschaftliche Betriebe?“. Online: https://faba-konzepte.de/wp-content/uploads/2024/04/Vortrag-Florian-Freund-Teller-zum-Hof.pdf.

[22]: Thünen-Institut (2024): „Thünen-Baseline 2024 – 2034”. Online: https://www.thuenen.de/media/publikationen/thuenen-report/Thuenen_Report_117.pdf.

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