Bürger*innen-Dialog empfiehlt Maßnahmen zur Förderung pflanzenbetonter Ernährung

Soll Ernährung stärker politisch gesteuert werden, um die dringend benötigte Ernährungswende voranzutreiben? Oft wird hierzu unterstellt, dass dies auf mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen würde. Der Bürger*innen-Dialog zeigt, dass progressive Forderungen gestellt werden, wenn sich Bürger*innen mit der Thematik auseinandersetzen.
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Empfehlungen an Politik übergeben

Am 20. Oktober fand die Abschlussveranstaltung des Bürger*innen-Dialogs Nachhaltige Ernährung im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) in Berlin statt – wir von Faba Konzepte waren mit vor Ort. Das Ministerium hatte den Beteiligungsprozess gemeinsam mit dem Umweltbundesamt (UBA) initiiert. Ziel war es herauszufinden, „welche politischen Maßnahmen sich Bürger*innen für die Unterstützung einer nachhaltigen, pflanzenbetonten¹ Ernährung wünschen, wenn sie sich intensiv mit dem Thema und vielfältigen Perspektiven darauf auseinandergesetzt haben“ (UBA 2023).

Durch intensiven Prozess gereift

Am Bürger*innen-Dialog nahmen etwa 60 Menschen teil, die zuvor aus einer zufällig ausgewählten Gruppe nach möglichst repräsentativen Kriterien ausgewählt wurden. Sie trafen sich über einen Zeitraum von 15 Monaten in verschiedenen Formaten. Gemeinsam lernten sie von Expert*innen über Zusammenhänge des Ernährungssystems und tauschten sich intensiv zu ihren persönlichen Perspektiven aus. So gewannen die Teilnehmenden Verständnis für unterschiedliche Standpunkte und erweiterten ihre Sichtweisen. Sie sammelten Ideen für mögliche Maßnahmen, aus denen sie im weiteren Verlauf die geeignetsten auswählten. Teil dieses Prozesses waren auch eine Erprobungsphase, in der einige Teilnehmer*innen ausgewählte Maßnahmen im Alltag testeten, sowie eine aufsuchende Beteiligung, bei der benachteiligte Bevölkerungsgruppen gezielt einbezogen wurden.

Schritte des Prozesses
Die verschiedenen Schritte des Bürger*innendialogs wurden von Nina van Empel (selbst am Dialog beteiligt) visualisiert

Ermutigende Geschichten

Bei der Abschlussveranstaltung kamen mehrere Teilnehmende zu Wort. Direkt von ihnen mitzubekommen, wie sie den Beteiligungsprozess erlebt haben und was er bei ihnen angestoßen hat, war eine bereichernde Erfahrung. Ihnen war anzumerken, dass sie die gewonnenen Informationen sehr wertschätzten und sich nun stärker selbst für die Ernährungswende engagieren. In einer Broschüre berichten zwei Teilnehmende stellvertretend: „Viele von uns haben durch das im Bürger*innen-Dialog gesammelte Wissen und die positiven Erfahrungen ihr eigenes Verhalten geändert und sogar ihr persönliches Umfeld für nachhaltige Ernährung begeistern können“ (UBA 2023). Vor Ort war folgende persönliche Erzählung besonders eindrücklich: Nach einem Wochenendworkshop mit reichhaltigen Inhalten stand eine teilnehmende Person auf der Heimfahrt viele Stunden im Stau. Diese Zeit wurde zum Verarbeiten und Reflektieren genutzt, um dabei festzustellen: es kann so nicht weitergehen mit dem Konsum tierischer Nahrungsmittel. Daheim angekommen berichtete die Person der Familie von dem Entschluss, sich nun pflanzenbasiert zu ernähren, und die Töchter schlossen sich begeistert an.

Progressive Ergebnisse

13 konkrete Empfehlungen sind das Ergebnis des Bürger*innen-Dialogs. Drei davon werden als besonders relevant hervorgehoben. Zum einen geht es hierbei um die Förderung des Angebots pflanzenbasierter Mahlzeiten in der Gemeinschaftsverpflegung. Hierfür wird vorgeschlagen, dass Neuerungen und Verlängerungen bei Cateringverträgen ab 2025 verpflichtend die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) erfüllen sollen. Diese sollen sich an die Planetary Health Diet anpassen. Schul- und Kindergartenkindern soll die Verpflegung kostenlos zur Verfügung stehen. Eine weitere Kernempfehlung ist eine umweltfreundliche Besteuerung und Subventionierung von Lebensmitteln, die ausreichend hoch ausfallen soll, um tatsächlich lenkend zu wirken. Konkret wird bis 2025 vorgeschlagen, pflanzenbasierte Lebensmittel von der Mehrwertsteuer zu befreien und für tierische den regulären Satz von 19% statt dem aktuell reduzierten Satz anzuwenden. Bis 2027 soll das System auf eine Internalisierung der extern verursachten Kosten ausgeweitet werden.

Die Empfehlungen wurden von Expert*innen unterschiedlicher Disziplinen bezüglich ihrer Einschätzungen zu Wirksamkeit und Akzeptanz evaluiert. Neben den beiden erläuterten Maßnahmen schnitten dabei „Abschaffung von Subventionen für Massentierhaltung und Förderung der nachhaltigen Landwirtschaft“ sowie „Integration von nachhaltiger Ernährung als Querschnittsthema in Schul- und Kitalehrpläne“ besonders gut ab. Im Rahmen der Abschlussveranstaltung bekräftigte Prof. Dr. Harald Grethe in einem Vortrag, dass die empfohlenen Maßnahmen angebracht seien und sich mit dem deckten, was von wissenschaftlicher Seite aus schon länger empfohlen wird. Er hatte als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) 2020 das Gutachten „Politik für eine nachhaltigere Ernährung“ mit herausgebracht.

Die drei Kernempfehlungen des Bürger*innendialogs (ebenfalls visualisiert von Nina van Empel)
Die drei Kernempfehlungen des Bürger*innendialogs (ebenfalls visualisiert von Nina van Empel)

Ist Ernährung nicht Privatsache?

Bei der Frage danach, inwiefern staatliche Lenkung im Bereich Ernährung legitim ist, wird oft empfindlich reagiert. Gleichzeitig sind staatliche Maßnahmen in anderen Bereichen völlig gängig und weit toleriert, um Schäden an anderen zu verhindern. Auch der WBAE spricht sich im oben genannten Gutachten für eine Stärkung des Politikfelds Ernährung aus und fordert auf, den Konsum stärker als bisher aktiv zu steuern. Weiterhin wird hier die Frage relevant, ob Ernährungsentscheidungen überhaupt „frei“ sein können. Wir sind dabei zwangsweise von Ernährungsumgebungen beeinflusst, die stark durch Politik (und vor allem auch durch wirtschaftliche Interessen) gestaltet sind – etwa Preise durch das System an Subventionen und Besteuerung. Darum kommt auch der WBAE zu dem Schluss: „Wenn (Ernährungs)politik gar nicht anders kann, als Ernährungsumgebungen zu gestalten, dann sollte sie dies bewusst tun“ (WBAE 2020).

Und jetzt?

Aus wissenschaftlicher Perspektive ist die Notwendigkeit einer Ernährungswende bereits deutlich formuliert. Die Ergebnisse des Bürger*innen-Dialogs sollten es nun schwer machen, sich politisch auf dem „Unwillen“ der Bevölkerung auszuruhen. Spätestens jetzt sind die Regierungen gefragt, praktische Konsequenzen zu ziehen und Maßnahmen zu ergreifen, die den Menschen eine pflanzenbasierte Ernährung vereinfacht. Zum Weiterlesen findest du eine detaillierte Beschreibung des Bürger*innen-Dialogs und der Ergebnisse in der zugehörigen Broschüre. Wie wir zu einem gerechten Umbau in der Landwirtschaft kommen, wird auf unserer Konferenz „Tierzahlen runter, und zwar gerecht!“ vom 17.-19. November diskutiert. Wenn du auf dem Laufenden bleiben möchtest, abonnier gerne unseren Newsletter.

1   Mit den Begriffen „pflanzenbetont“ oder „pflanzenbasiert“ wird in der Regel eine Ernährungsform beschrieben, die höchstens geringe Mengen an tierischen Produkten einbezieht, also fast vegan oder vegan ist,

Literatur

Umweltbundesamt (UBA) 2023: Pflanzenbetonte Ernährung fördern. Empfehlungen eines Bürger*innen-Dialogs. www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Gesundheit_Umwelt/nachhaltige_ernaehrung_bf.pdf (08.11.2023).

Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) 2020: Politik für eine nachhaltigere Ernährung. Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und  faire Ernährungsumgebungen gestalten. www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/wbae-gutachten-nachhaltige-ernaehrung.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (08.11.2023). 

Bildquellen

Visualisierungen: Nina van Empel, die Abbildungen wurden inspiriert durch die bikablo®-Produkte, bikablo.com

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