Auf der Konferenz sollte Vergesellschaftung als Strategie für Klimagerechtigkeit diskutiert werden. Unter den über 300 Teilnehmenden waren entsprechend viele Aktivist*innen aus der Klimabewegung, aber auch aus verschiedenen anderen sozialen Kämpfen.
Aber was heißt eigentlich Vergesellschaftung?
Eine einheitliche Definition dafür gibt es nicht. In einem Verständnis meint der Begriff ganz konkret, dass in Privateigentum befindliche Unternehmen, Ressourcen oder Produktionsmittel zunächst enteignet und dann unter gesellschaftliche Kontrolle gestellt werden – wobei das wiederum ganz unterschiedlich gestaltet werden kann. Ein wichtiges Ziel dabei ist typischerweise, die jeweiligen Güter zur Befriedigung von Bedürfnissen einzusetzen, anstatt damit Profit zu erwirtschaften. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Kampagne Deutsche Wohnen und Co. enteignen, die in Berlin 2021 über 59% der Wähler*innen für eine Vergesellschaftung der großen Wohnungskonzerne mobilisierte, weil die Mieten immer weiter steigen.
Interessanterweise gibt es im Deutschen Grundgesetz eine Basis für solche Maßnahmen, da heißt es nämlich in Artikel 15: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“
Thema der Konferenz waren aber nicht nur Forderungen nach Vergesellschaftung in diesem Sinne, sondern es ging generell um die Spannungsfelder zwischen Privateigentum und Gemeineigentum, zwischen Profitstreben und Bedürfnisorientierung, zwischen privatwirtschaftlicher Macht und demokratischer Kontrolle. Das Thema so zu beschreiben, macht es zudem in vielen Kontexten anschlussfähiger, da die Begriffe Vergesellschaftung oder gar Enteignung leicht Vorbehalte und Ablehnung hervorrufen.
Vier Themenstränge
Die Konferenz wollte die genannten Spannungsfelder nicht nur allgemein beleuchten , sondern in vier Themensträngen konkret werden lassen. Alle Teilnehmenden mussten sich für einen Themenstrang entscheiden und konnten sich einen Großteil des Wochenendes auf ihr Fokusthema konzentrieren, sich mit verschiedenen Aspekten beschäftigen und neue Ideen für Projekte und Kampagnen entwickeln. Die vier Stränge waren Mobilität, Energie, Care (medizinische Versorgung und Sorgearbeit) sowie Landwirtschaft und Ernährung. Der letztere Strang war natürlich der, an dem wir uns beteiligt haben.
In mehreren Workshops wurden in dem Strang zwei noch spezifischere Themen vertieft, nämlich zum einen soziale Kämpfe um den Boden und zum anderen der Widerstand gegen die Tierindustrie.
Vergesellschaftungsfragen zu Bodenpolitik und Tierindustrie
Am Thema Boden wurden die zentralen Spannungsfelder gut deutlich. Dort zeigte sich auch, dass aktuell schon verschiedene gesellschaftliche Auseinandersetzungen laufen, die eng mit Forderungen nach Vergesellschaftung verwoben sind, auch wenn der Begriff dort kaum verwendet wird: So kämpfen z.B. bäuerliche Organisationen seit Jahren dagegen, dass immer mehr fruchtbares Ackerland versiegelt wird oder zu Höchstpreisen an außerlandwirtschaftliche Investoren verkauft wird, die es als Anlage- oder Spekulationsobjekt besitzen und kein Interesse an sozial und ökologisch verträglicher Landwirtschaft haben. Der Widerstand dagegen ist der Versuch, die wichtige Ressource Boden für das Gemeinwesen zu erhalten und zu gewährleisten, dass Menschen, die gute Nahrungsmittel für alle erzeugen wollen, darauf auch zugreifen können.
Im Unterstrang zur Tierindustrie konnten sich die Teilnehmenden über Machtstrukturen und Konzerne in der Fleisch- und Milchwirtschaft informieren, Einblicke in die Situation von Arbeiter*innen an Schlachthöfen und gewerkschaftliche Organisierung gewinnen sowie das Projekt „Gemeinsam gegen Tönnies“ vom Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie kennenlernen. In einem Workshop trug Frederic Markert aus unserem Team einen Input zur Rolle deutscher Familienunternehmen in der globalen Expansion der Tierindustrie bei.
Angesichts der enormen Konzernmacht in der Branche diskutierten die Teilnehmenden, ob Vergesellschaftung auch ein Ansatz für die benötigte Transformation hin zu einem pflanzenbasierten Ernährungssystem sein könnte. Eine wichtige Forderung lautete daher auch, dass mit der Enteignung von Konzernen wie Tönnies, Wiesenhof oder Müller-Milch die Umstellung der Betriebe zur pflanzlichen Erzeugung einhergehen müsste.
Im Strang zu Landwirtschaft und Ernährung wurden dann in Kleingruppen insgesamt acht verschiedene Projektideen entwickelt, die am Ende der gesamten Konferenz vorgestellt wurden. Einer der aus unserer Sicht spannendsten Vorschläge: Eine Kampagne mit dem Arbeitstitel „Unser LIDL“, die die Vergesellschaftung von Konzernen des Lebensmitteleinzelhandels fordern soll. Damit könnte man im öffentlichen Diskurs zentrale Fragen um Ausbeutung, Klimafolgen, soziale Gerechtigkeit und demokratische Kontrolle im Ernährungssystem auf die Tagesordnung bringen.
Was fehlte?
Bei aller Fülle an Informationen und inspirierenden Ideen kamen uns zwei Punkte auf der Konferenz zu kurz: Erstens braucht es noch mehr Grundlagenarbeit zu der Frage, wie Vergesellschaftung konkret aussehen kann, was die Vorteile, aber auch die Herausforderungen und Risiken solcher Kampagnen sind. Es gibt insbesondere, aber nicht nur im Agrarbereich große Vorbehalte gegen derlei Forderungen, die teilweise auch mit Erfahrungen mit den Zwangskollektivierungen von Landbesitzer*innen in der DDR zu tun haben. Wer ernsthaft für Vergesellschaftung im starken Sinne eintritt, muss sich mit dieser Geschichte sehr gut auskennen und auch auf viele andere Einwände gute Antworten haben. Dafür war auf der Konferenz wenig Zeit vorgesehen, aber es erfordert ohnehin eine weit tiefere Beschäftigung, als auf einem Wochenende passieren kann.
Zweitens fehlte uns bei einigen Diskussionen und Projektvorschlägen ein klarer Bezug auf das Ziel der Klimagerechtigkeit, das ja Schwerpunkt der Konferenz sein sollte. Häufig standen nur Aspekte der sozialen Gerechtigkeit im Fokus, also z. B. der Zugang zu Land für kleinbäuerliche Akteur*innen oder die Lebensmittelpreise im Supermarkt. Aber wenn die kleinbäuerlichen Betriebe weiterhin Futtermittel anbauen oder trockengelegte Moore bewirtschaften, die Konsument*innen zu günstigen Preisen genauso viel Fleisch kaufen wie vorher, ist für die Klimagerechtigkeit kaum etwas gewonnen. Um dieser näher zu kommen, braucht es daher nicht nur eine faire Verteilung von Ressourcen und Produktionsmitteln oder eine Befriedigung von Bedürfnissen hiesiger Konsument*innen, sondern eine umfassende Änderung dessen, was auf dem Boden produziert und was gegessen wird – kurz: eine Transformation zu einem pflanzenbasierten Ernährungssystem.
Wie weiter?
Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass diese Punkte noch stärker mitgedacht werden.Von dem Wochenende nehmen wir jedenfalls interessante Impulse und Kontakte mit. Wir freuen uns darauf, die Debatten zum Thema Vergesellschaftung innerhalb der vielfältigen Bewegungen weiter mitzuverfolgen, unsere Perspektiven einzubringen und je nach Projekt und unseren Möglichkeiten auch produktive Beiträge zu leisten.